Sertralin-Ratgeber
Selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer gegen mittelschwere und schwere Depressionen
Seit 1997 ist mit Sertralin ein weiterer Arzneistoff für die Behandlung und Prophylaxe depressiver Erkrankungen, Angst-, Panik- und Zwangsstörungen auf dem deutschen Markt. Die Behandlung dauert mindestens sechs Monate, das volle Potenzial entfaltet die Substanz, wenn Patienten parallel ihr Verhalten ändern. Sertralin ist verschreibungspflichtig.
Kurzfassung
- Sertralin ist ein antidepressiv wirkender Arzneistoff aus der Klasse der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Selective Serotonin Reuptake Inhibitors, SSRI).
- Die Bezeichnung SSRI beschreibt den Wirkmechanismus: Die Substanz greift direkt in den Hirnstoffwechsel ein und stellt das Gleichgewicht des Nervenbotenstoffs Serotonin wieder her.
- Zwei bis vier Wochen nach der Ersteinnahme kann die Stimmung sich aufhellen, der Schlaf besser werden, Aktivität zurückkehren.
- Die Substanz wird bei mittelschweren und schweren Episoden der unipolaren Depression verordnet, ebenso bei Angst-, Panik- und Zwangsstörungen, bei sozialer Phobie und einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).
- Sertralin gehört zu den am häufigsten verschriebenen Antidepressiva.
- Für Schwangere mit therapiebedürftiger Depression gehört Sertralin im ersten Schwangerschaftsdrittel zu den Antidepressiva der ersten Wahl.
Steckbrief Serotonin
Sie kennen Serotonin wahrscheinlich unter der Bezeichnung „Glückshormon”. Tatsächlich ist Serotonin ein Botenstoff – ein sogenannter Neurotransmitter –, der zwischen Nervenzellen im Gehirn unfassbar schnell Signale wie „gute Stimmung” oder „keine Angst” oder „entspannen!” überträgt.
Serotonin wird hauptsächlich im Darm (zu 95 Prozent) und im Gehirn produziert und ist in großen Mengen im
- Magen-Darm-Trakt
- gesamten Nervensystem
- Herz-Kreislauf-System
unterwegs. Es wird über die Blutplättchen (Thrombozyten) im Blut transportiert und in den Endabschnitten von Nervenfasern gespeichert. Um Impulse von einer Nervenzelle auf eine andere – von einer „Ausgangszelle” (Präsynapse) auf eine „Zielzelle” (Postsynapse) – zu übertragen, braucht es eine Art Brücke, denn es gilt, einen schmalen Zwischenraum zu überwinden. Die Verbindungs- beziehungsweise Kontaktstruktur heißt Synapse, der Abgrund dazwischen synaptischer Spalt. In diesen Strukturen und mit Hilfe eines Transportmoleküls überträgt der Botenstoff Serotonin in Nullkommanix seine Signale und kehrt danach weitgehend inaktiv in die Speicher der „Ausgangszelle” zurück.
Serotonin steuert im menschlichen Organismus vor allem die/den/das
- Blutgerinnung und die Blutgefäße
- Augeninnendruck
- Schmerzempfinden
- Wahrnehmung
- Schlaf-Wach-Rhythmus
- Sensorik
- Gedächtnisleistung
- Essverhalten
- Körpertemperatur
- Sexualverhalten
- Hormonsekretion
und nicht zuletzt die allgemeine Stimmungslage. Serotonin gibt uns das Gefühl von Gelassenheit, innerer Ruhe und Zufriedenheit.
Wirkmechanismus von Sertralin
Serotonin selbst wird therapeutisch nicht verwendet, sondern es sind Arzneistoffe, die die Freisetzung, Wirkung, Wiederaufnahme und den Abbau von Serotonin beeinflussen. Die Medikation mit modernen nebenwirkungsarmen Antidepressiva ist immer darauf ausgerichtet, im Gehirn das Ungleichgewicht in der Anzahl von Nervenbotenstoffen wie Serotonin zu korrigieren.
Wie alle Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Selective Serotonin Reuptake Inhibitors, SSRI) entfaltet auch Sertralin seine Wirkung am synaptischen Endabschnitt einer Nervenzelle: Es blockiert die Aktivitäten jenes Moleküls, das Serotonin wieder aus dem synaptischen Spalt in seine Speicher zurücktransportiert. Auf diese Weise wird die Konzentration des Serotonins im synaptischen Spalt erhöht und dessen Verweildauer an der Zielzelle verlängert. In der Folge wird die Weiterleitung und Verarbeitung von Signalen wieder ins Gleichgewicht gebracht, was sich positiv auswirkt.
Einsatzgebiete
Am häufigsten wird Sertralin verordnet bei
- mittelschweren und schweren Episoden der unipolaren Depression (Major Depression), kurz: Depression
- Zwangsstörungen
- Panikstörungen
- sozialer Phobie
- posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS)
Der Einsatz von Psychopharmaka wie Sertralin ist allerdings nur sinnvoll, wenn man begleitend schaut, dass positiveUmgebungseinflüsse den Heilungsprozess unterstützen. Das kann eine kognitive Verhaltens– und Sporttherapie sein. Eine gute, vertrauensvolle therapeutische Beziehung macht es möglich, positive Erwartungen an den Ausgang der Therapie zu entwickeln und eventuelle Befürchtungen und Ängste zu entkräften. Besonders wichtig sind Hilfen zur Selbsthilfe. Das Gesamtpaket stabilisiert langfristig die seelische Verfassung.
Schwangerschaft und Stillzeit
Für Schwangere mit therapiebedürftiger Depression gehört Sertralin im ersten Trimenon zu den Antidepressiva der ersten Wahl – jedoch nur nach strenger Indikationsstellung. Der behandelnde Arzt – der sich gut mit dem Themenkomplex Depression, Antidepressiva und Schwangerschaft auskennen sollte – auswägt Nutzen und Risiken (Übergewicht, Schwangerschaftsdiabetes) gegeneinander ab. Insbesondere im letzten Schwangerschaftsdrittel kann Sertralin die Gesundheit des Kindes beeinträchtigen. Der Wirkstoff geht geringfügig in die Muttermilch über.
Kinder und Jugendliche
Im Alter zwischen 6 und 17 Jahren ist Sertralin ausschließlich zur Behandlung von Zwangsstörungen indiziert. Besonders am Anfang der Behandlung ist es wichtig, die Heranwachsenden im Hinblick auf suizidale Tendenzen und gesteigerte (Selbst-)Aggressionen eng zu begleiten.
Alter
Bei Patienten im Alter über 50 kann Sertralin langfristig die Knochendichte verringern, wodurch sich das Osteoporose- und damit Knochenbruchrisiko erhöht.
Flankierende Maßnahmen haben einen hohen Stellenwert in der Behandlung. Studien zeigen, dass Sport und körperliche Aktivität teilweise die gleichen Veränderungen im Hirnstoffwechsel anstoßen wie Antidepressiva.
Anwendung
Sertralin wird abhängig von der Diagnose oral als Tablette morgens oder abends oder als Trinklösung (Vorsicht: Manche Lösungen enthalten Alkohol) eingenommen. Der Wirkstoff steht passend zur Erkrankung und zum Patienten in mehreren Dosierungen zur Verfügung. Bei einer Depression startet der behandelnde Arzt – in aller Regel ein Arzt für Psychiatrie; der Hausarzt fungiert idealerweise als Gatekeeper – mit einer niedrigen Wirkstoffkonzentration und passt sie langsam an, bis die Zieldosis erreicht ist.
Bei einer Depression tritt die Wirkung nach zwei bis vier Wochen ein, falls nicht, so herrscht unter Experten inzwischen die Meinung vor, dass unter der gleichen Therapie eine Genesung auch in den nächsten Wochen nicht zu erwarten sei. Entsprechend könne eine rasche Umstellung der Medikation den Leidensweg der Patientinnen und Patienten gegebenenfalls verkürzen. Denn auch nach über 30 Jahren SSRI-Therapie gilt häufig noch immer das Prinzip trial and error – Versuch und Irrtum.
Die Behandlungsdauer beträgt mindestens sechs Monate. Der behandelnde Arzt überprüft regelmäßig die weitere Notwendigkeit. Keinesfalls sollte Sertralin plötzlich abgesetzt werden, da verschiedene Reaktionen möglich sind, zum Beispiel Unruhe, Angst, Wiederauftreten der Depression, Schlafbeschwerden. Das Mittel wird in Absprache langsam ausgeschlichen.
Nebenwirkungen
Sertralin ist seit Jahrzehnten im klinischen und ambulanten Einsatz gut erforscht und bei korrekter Anwendung gut verträglich, relativ nebenwirkungsarm und sicher. Dies beruht unter anderem darauf, dass der Wirkstoff nur sehr gering mit anderen Rezeptoren in den Nervenzellen interagiert. Dennoch können unerwünschte Begleiterscheinungen auftreten:
Sehr häufig | Übelkeit, Mundtrockenheit, Durchfall, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Unruhe, sexuelle Funktionsstörungen, Zittern, Schlafbeschwerden |
Häufig | Halsschmerzen, Veränderungen des Appetits mit Gewichtsveränderungen (Ab-, Zunahme), Sehstörungen, Herzklopfen, Gelenkschmerz, Hitzewallungen, Blähungen, Hautausschläge, Gähnen, Aggression |
Gelegentlich | Erkältungssymptome, erweiterte Pupillen, Atembeschwerden, Haarausfall, Migräne, Muskelkrämpfe, Menstruationsstörungen |
Selten | Verfolgungswahn, Suizidgedanken, Herzprobleme, allergische Reaktionen, Bluthochdruck |
Wechselwirkungen und Gegenanzeigen
Sertralin darf nicht eingenommen werden mit/bei:
- Antidepressiva aus der Gruppe der MAO(Monoaminoxidase)-Hemmer
- Neuroleptika
- Arzneimitteln, die die Thrombozytenfunktion beeinflussen
- nichtsteoridalen Antirheumatika
- Muskelrelaxantien
- Grapefruitsaft: Drei Gläser täglich erhöhen die Konzentration des Mittels im Blut um 100 Prozent
- Diabetes
- Bipolarer Erkrankung (Wechsel zwischen Manie und Depression)
Alkohol verstärkt die Wirkung von Sertralin auf das Zentralnervensystem. Während der gesamten Therapie gehört Alkohol verbannt.
Fragen und Antworten
Wie bekomme ich ein Online-Rezept für Sertralin?
Sertralin wird nur nach einer eingehenden Anamnese verschrieben. Es ist daher nicht möglich, Sertralin als Online-Rezept in der Erstverschreibung zu erhalten. Sie können allerdings ein Folgerezept ausstellen lassen. Das e-Rezept lässt sich bei einer unserer Partnerapotheken einlösen.
Quellen
- https://www.aerzteblatt.de/archiv/5802/Depression-Neue-Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer-Geringes-Risiko-von-Interaktionen-bei-Sertralin
- https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2000/daz-42-2000/uid-7379
- https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Sertralin_26335
- https://www.aerzteblatt.de/archiv/46728/Antidepressive-Therapie-bei-Kindern-und-Jugendlichen-Anwendung-und-Stellenwert-der-selektiven-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
- https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2004/daz-45-2004/uid-12879
- https://arznei-news.de/sertralin/
- https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/sertralin/
- https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/10/07/absetzen-kann-mutter-und-kind-gefaehrden
- https://www.ema.europa.eu/en/documents/referral/zoloft-article-30-referral-annex-i-ii-iii-iv_de.pdf
Fabian Bohn
- Zuletzt aktualisiert: 28. Dezember 2023
Dieser TeleClinic-Ratgeber wurde nach höchstem wissenschaftlichen Standard von unseren Medizinredakteuren verfasst. Die Artikel sollen Ihnen lediglich Erstinformation zu diversen Themen bieten und können keine ärztliche Diagnose ersetzen. Gerne beraten Sie erfahrene Ärzte weiterführend in einem Online-Arztgespräch.